Erneut hat sich ein seit 1945 vermisstes Objekt im Depot des Ägyptischen Museums Berlin angefunden. Auch hier liegt das Verschwinden und letztlich Wiederauffinden in der Spezifik der Sammlungsgeschichte, insbesondere den Wirren des 2. Weltkrieges begründet (s. dazu auch den Beitrag:
Eine Göttin bekommt nach 74 Jahren ihre Krone zurück).
Das Objekt befindet sich seit den 1990er Jahren in dem Bereich des Depots, in dem die Artefakte mit unklarer Identität aufbewahrt werden. Bei dem Objekt handelt es sich um ein kleines Udjat-Auge, das auch Horus-Auge genannt wird. Das gut erhaltene Stück weist keine Inventarnummer auf und war daher bisher nicht zuzuweisen.
Das Udjat-Auge aus blauer Fayence mit den Maßen 2,4 × 3,5 × 0,8 cm (H × B × T) und einem Gewicht von 3 g gehört aufgrund seiner Größe und der in durchbrochener Technik gefertigten Form zu den eher seltenen Ausführungen. Udjat-Augen sind häufig nach rechts blickend gerichtet, so auch dieses. Eine auffällige Besonderheit ist die am rechten Rand befindliche Darstellung einer Uräusschlange mit Sonnenscheibe auf dem Kopf. Darüber hinaus hat das schutzbringende Amulett eine konvexe, also leicht nach außen gewölbte Form und ist auf den Längsseiten je dreimal durchbohrt. Eine anhaftende Fayenceperle weist darauf hin, dass es vormals ein Teil eines größeren Schmuckstückes, möglicherweise eines dreireihigen Armbandes, gewesen ist. Das Auge datiert in das Neue Reich (1550-1070
v. Chr.).
Ein vom Aufbau her vergleichbares Udjat-Auge, das gleichwohl aus weitaus kostbareren Materialien, wie Gold und Karneol, gefertigt wurde, befindet sich unter den Grabbeigaben des Königs Tutanchamun (JE 62371).
Bei Recherchearbeiten in der Datenbank des Museums stieß Herr Marohn vor kurzem auf eine eingescannte Zeichnung des vermissten Udjat-Auges aus dem Inventarbuch. Laut dem Inventar handelt es sich um ein
'Amluett: Udjat-Auge über Uräusschlange in durchbrochener Arbeit. Diente als Steg einer dreifachen Perlenschnur, am linken Rand kleben noch 4 Scheibenperlen.' Von den ehemals vier Perlen ist heute lediglich eine einzige erhalten. Das seit 1945 vermisste Amulett war weder fotografiert noch publiziert. Lediglich der Vergleich der mit schwarzer Tinte angefertigten Zeichnung des Inventarbuchs mit dem Original lässt eine eindeutige Bestimmung des Objektes als das verloren geglaubte Objekt ÄM 21092 zu.
Damit ist auch die Provenienz des blauen Udjat-Auges bekannt. Es stammt aus der Grabung des ÄMP in Theben-West unter der Leitung von Georg Möller (1911/1913). Diese Grabung wird derzeit in dem Projekt
Ausgrabungen auf dem Westufer von Theben (1911 und 1913) von Ägyptolog*innen des ÄMP aufgearbeitet. Das Projekt wird finanziell durch den Verein zur Förderung des Ägyptischen Museums e.V. unterstützt.
Wie erfreulich, dass nun ein Objekt aus dem Grabungskonvolut wiederentdeckt wurde und in nächster Zeit weiter untersucht wird!
Frank Marohn, Dipl. Museologe (FH) am Ägyptischen Museum und Papyrussammlung zu Berlin