Memphis, die Hauptstadt des ersten unterägyptischen Gaus, blickt auf eine mehrere Jahrtausende währende Vergangenheit zurück und stellt damit einen der komplexesten und dauerhaftesten Fundplätze Ägyptens dar. Die Überreste der antiken Stadt, die seit 1979 zum
UNESCO-Weltkulturerbe gehören, befinden sich rund 18 km südlich der Stadt Kairo, nahe der modernen Ortschaft Mit Rahina auf dem Westufer des Nils. Aufgrund der Tatsache, dass vom einstigen Stadt- und Tempelgebiet heute nur noch lose verstreute Blöcke und Bauteile sichtbar sind, erhalten wir den Großteil an Informationen hinsichtlich Größe, Aussehen, Bedeutung und Lage der Stadt und seiner Bewohner nicht aus den Siedlungskontexten, sondern nahezu ausschließlich aus den angegliederten Begräbnisplätzen, die als letzte Ruhestätte für die in Memphis lebenden und arbeitenden Menschen dienten. Die Gräberfelder der memphitischen Nekropole liegen auf dem Westufer des Nils und erstrecken sich grundsätzlich von Giza im Norden bis Dahschur im Süden. Damit umfasst das Areal in seiner größten Ausdehnung rund 60 km². Das Wüstenplateau, auf welchem die Grabanlagen ägyptischer Könige, Beamter und Priester errichtet wurden, bildet das äußerste Ende der Wüste Sahara, erhebt sich bis zu 30 m über das Niltal und besteht alternierend aus Kalksteinfelsen und sandigen Abhängen. Durch die erhöhte Lage des Gebiets konnte der Schutz der Denkmäler vor der jährlichen Überschwemmung gewährleistet werden. Aus eben diesem Grund befinden sich die memphitischen Friedhöfe heutzutage in einem vergleichsweise besseren Erhaltungszustand als das Stadt- und Tempelgebiet.
Zur Gründung der Stadt sind keine zeitgenössischen Quellen bekannt. Dem deutlich jüngeren Bericht des griechischen Geschichtsschreibers HERODOT VON HALIKARNASSOS aus der Mitte des 5. Jh. v. Chr. zufolge, hat der ägyptische König Menes die Stadt auf einem Landstück gegründet, welches sich zu allen Seiten mit Wasser umgeben fand. Im Norden und Westen wurde die Stadt durch Kanäle gesichert, während der Nil die östliche Begrenzung des Stadtgebiets bildete. Obwohl Menes in den altägyptischen Königslisten, wie dem Turiner Königspapyrus, als erster Herrscher Ägyptens geführt wird, ist seine Identifizierung als historische Persönlichkeit nicht möglich. Die bislang frühesten archäologisch fassbaren Spuren datieren zurück in das 4. Jt. v. Chr. Siedlungsreste wurden etwa im heutigen Kairoer Vorort Maadi und im rund 20 km entfernten el-Omari entdeckt. Innerhalb der nahegelegenen Gräberfelder von Helwan und Sakkara wurden darüber hinaus, mehr als 10 000 Bestattungen freigelegt, die zum Großteil aus der Zeit des ausgehenden 4. und beginnenden 3. Jt. v. Chr. stammen. Die Vielzahl und Komplexität der Begräbnisse macht deutlich, dass Memphis bereits zu dieser Zeit eine große Ansiedlung von Menschen umfasste. Da der Name der Siedlung Inebuhedj: die weißen Mauern zumindest textlich, seit der frühdynastischen Zeit (3100-2800
v. Chr.) belegt ist, wird angenommen, es handle sich um das urbane Zentrum der späteren Großraummetropole. Dieses dürfte im Zuge des komplexen Prozesses der ägyptischen Staatswerdung im ausgehenden 4. Jt. v. Chr. entstanden sein. Einige Herrscher der frühdynastischen Zeit, wie etwa König Ninetjer (um 2800
v. Chr.), ließen ihre Begräbnisstätte im Friedhofsbereich von Sakkara errichten. Das dokumentiert das königliche Interesse an dem Ort Memphis bereits zu dieser frühen Zeit. Dies lag vor allem in der religiösen Bedeutung der Region begründet. So bildete Memphis als religiöses Landeszentrum, einen Schauplatz für verschiedene, mit dem Königtum in Verbindung stehende Kulthandlungen. Dazu gehört unter anderem das sogenannte 'Vereinigen der beiden Länder' und der 'Kultlauf des Königs um die Mauer', die im Zuge der Krönung
bzw. dem Regierungsjubiläum Pharaos zelebriert wurden. Damit waren die memphitischen Festgeschehen auch von übergeordneter Bedeutung für die Legitimation des Königs als Herrscher Ägyptens. Ebenso geht der Kult des lokalen Hauptgottes Ptah auf die 1. Dynastie zurück. Ptah wird als Mumie in enganliegendem Gewand, mit kahlgeschorenem Haupt oder blauer Haube dargestellt und nimmt innerhalb der memphitischen Theologie die Rolle des Hauptschöpfergottes ein.
Der memphitische Schöpfungsmythos besagt, dass Ptah in seiner Rolle als erdverbundene Gottheit die Menschen mit Hilfe einer Töpferscheibe aus Ton formte. Aus diesem Grund wird er auch als Schutzgott der Handwerker verehrt. Seine Hauptverehrungsstätte ist der Ptah-Tempel von Memphis, der sich nach Aussage Herodots innerhalb des Stadtgebiets befand und eines der wichtigsten Heiligtümer des Alten Ägyptens war. Die überregionale Bedeutung des Tempels spiegelt sich auch in seiner Namensgebung Hut-ka-Ptah: das Ka-Haus des Ptah wider. Durch die Übertragung des Namens ins Babylonische (Hikuptah) und später ins Griechische (Aigyptos)
bzw. Lateinische (Aegyptus) wurde die ursprüngliche Bezeichnung des memphitischen Tempelgebiets zur modernen Landesbezeichnung Ägyptens.
In der Zeit des Alten Reiches (2700-2200
v. Chr.) bildete die Stadt Memphis nicht nur die bestimmende Metropole der nördlichen Landeshälfte, sondern stellte auch den primären Ort des ägyptischen Königtums dar. Damals wie auch heute dominieren die königlichen Pyramidengrabanlagen von Giza, Abusir, Sakkara und Dahschur die Landschaft dieser Region. Tatsächlich geht auch der Name der Stadt Memphis auf eben diese Blütezeit der Region zurück, indem die altägyptische Bezeichnung Mennefer eine Verkürzung des Namens der Pyramide Königs Pepi I. (um 2250
v. Chr.) und ihrer zugehörigen Stadt Mennefer-Pepi: Dauernd und vollkommen ist Pepi darstellt. Die Pyramidenstadt, welche sowohl die am Königsgrab arbeitenden Handwerker, als auch die am Totenkult des verstorbenen Königs angestellten Priester und deren Familien aufnahm, befand sich wohl östlich der königlichen Grabpyramide in Sakkara-Süd und stellte einen zentralen Besiedlungspunkt der Region dar. Die Angestellten der in Memphis ansässigen Landesverwaltung und der königlichen Hofgesellschaft sowie die Mitglieder der königlichen Familie wurden in teilweise monumental ausgebauten Grabanlagen in der unmittelbaren Umgebung der königlichen Pyramidengrabanlagen errichtet. Zu eben diesen Grabanlagen gehören auch die im Neuen Museum ausgestellten Opferkammern des Metjen (ÄM 1105), des Manofer (ÄM 1108) und des Merib (ÄM 1107), die unter den Königen Snofru, Cheops und Unas in der Mitte des 3. Jt. v. Chr. entstanden sind.
Auch wenn der Regierungssitz der Könige des Mittleren Reiches zunächst in Theben und schließlich in Itjitaui zu verorten war, so knüpfen die Herrscher der 12. Dynastie (1976-1794
v. Chr.) wiederum an die Tradition des memphitischen Königsgrabes an und ließen ihre Gräber in Dahschur und el-Lischt errichten. Die bauliche Ausstattung des Ptah-Tempels zeigt, dass der Kult des memphitischen Hauptgottes auch während des ausgehenden 3. Jt. v. Chr. und in der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. auf das Engste mit dem ägyptischen Herrscher verbunden war.
Zu Beginn des Neuen Reiches (1550-1070
v. Chr.) war zunächst Theben mit den königlichen Felsgrabanlagen im Tal der Könige der primäre Ort königlicher Präsenz. Die textliche Erwähnung königlicher Domänen, Palast- und Tempelanlagen sowie die Anwesenheit von Mitgliedern der zentralen Landesverwaltung und der königlichen Hofgesellschaft innerhalb der memphitischen Region verdeutlicht aber, dass Memphis auch in der frühen 18. und 19. Dynastie von besonderer Bedeutung in Bezug auf den König blieb und neben der Stadt Theben ein zweites Landeszentrum bildete. Durch die optimale infrastrukturelle Anbindung an das Mittelmeer zum einen und den Binnenverkehr nach Zentralafrika zum anderen, boten sich darüber hinaus die optimalen Voraussetzungen dafür, dass Memphis spätestens ab der Mitte des 2. Jt. v. Chr. nicht nur zum politischen Zentrum des Landes aufstieg, sondern einen wichtigen Militär- und Flottenstützpunkt sowie weitläufige Handwerks- und Produktionsbetriebe beherbergte. Durch seine Funktion als Handelsumschlagplatz wurde die Stadt zudem zu einem Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen.
Während der Tempelkomplex des Gottes Ptah die bestimmende religiöse Instanz des 2. Jt. v. Chr. blieb, finden sich in der memphitischen Region in Form kleinerer Lokalheiligtümer weitere Orte kultischer Götterverehrung. Über die zur Zeit des Neuen Reiches verehrten Gottheiten und ihre Verehrungsplätze geben verschiedene altägyptische Quellen, wie der Papyrus Sallier IV, Auskunft. Insgesamt lassen sich mindestens 12 memphitische Lokalkulte identifizieren, die abseits des großen Tempelkomplexes einen Ort darstellten, an dem Menschen ohne priesterliche Funktion mit dem Gott des Tempels in Kontakt treten konnten. Archäologische Hinterlassenschaften bezeugen, dass neben der Niederlegung von Votiven, etwa in Form von Ohrenstelen, Statuetten oder Figurinen, auch Kulthandlungen wie Libation und Räucherung zu den rituellen Praktiken an den so genannten Bittplätzen gehörten.
Nach der Zeit des Neuen Reiches wurde Memphis zunächst von verschiedenen Fremdherrschern eingenommen, bevor es in der ägyptischen Spätzeit zur alten Blüte zurückfand. Die memphitischen Kulte, allen voran der seit der 1. Dynastie praktizierte Kult des heiligen Apis-Stieres von Memphis, erfuhren seitens der Könige eine intensive Förderung.
Ein ihm gewidmeter Tempel sowie ein Balsamierungshaus wurden innerhalb des Ptah-Tempelkomplexes errichtet. Hier wurde der Apis für seine Bestattung präpariert, bevor er im Rahmen einer öffentlichen Festprozession zu seinem Begräbnisplatz im Serapeum von Sakkara überführt wurde. Die steinernen Sarkophage, in denen die Tiere in unterirdischen Galerien bestattet wurden, gehören mit einem Gewicht von 70-80 Tonnen zu den größten des Altertums.
Nach dem Untergang der pharaonischen Kultur büßte Memphis deutlich an Bedeutung ein und fungierte nicht mehr als politisch-religiöses Landeszentrum. Es blieb jedoch eine bedeutende Stadt innerhalb des oströmischen Reiches, bis es bei der Schlacht von Heliopolis im Jahre 640 von den Arabern eingenommen wurde. Seine Rolle musste Memphis nun an die im Jahre 641 gegründete Stadt Fustat abgeben und versank allmählich im Schatten des rund 15 km entfernten Kairos.
Anne Herzberg-Beiersdorf